Heinz Reitbauer ist mit seinem Wiener Restaurant „Steirereck“ seit Jahren unter den Top 20 der World´s 50 Best Restaurants vertreten. Wir haben mit dem Österreicher über seine erfolgreiche Küchen-Philosophie und über gewinnbringende Treffen mit Weggefährten wie dem New Yorker Spitzenkoch Dan Barber gesprochen und ihn nach seinen Lieblingsrestaurants am Big Apple gefragt.
Das „Steirereck“ im Stadtpark ist das Restaurant mit dem größten internationalen Renommee Wiens. Seit Jahren sind die Gerichte Heinz Reitbauers nicht nur sprichwörtlich in aller Munde, ist das Restaurant doch seit 2009 unter den World´s 50 Best Restaurants – zweimal sogar unter den Top 10 – vertreten und wird darüber hinaus seit 2010 konstant mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Reitbauers moderne Küche vergisst dabei ihre traditionellen österreichischen Wurzeln nie – im Gegenteil, rückt er sie doch in weiten Teilen des erlesenen Menüs in den Fokus. Außergewöhnliche Zubereitungsarten wie der in heißem Bienenwachs gegarte Saibling wechseln sich ab mit traditionellem Beinfleisch und Kalbsnierchen und spiegeln so eine Wiener Gegenwartsküche wieder, die auf der Tradition aufbaut, die Zukunft aber fest im Blick hat – wie auch unser Interview mit dem Spitzenkoch zeigt:
New Food City: Herr Reitbauer, Tradition wird in der Wiener Küche generell groß geschrieben. Da scheint Ihre Familie keine Ausnahme zu machen…
Heinz Reitbauer: Das ist richtig, die Gastronomie hat in unserer Familie ihren festen Platz. 1970 haben meine Eltern das „Steirereck“ in Wien eröffnet, 1996 kam das „Wirtshaus am Pogusch“ in der Steiermark hinzu. Das Kochen hatte, neben der Architektur, also schon immer mein größtes Interesse. Dazu bewirtschaften wir auch einen Landwirtschaftsbetrieb. Der Hintergrund für gute und frische Produkte ist bei uns immer gegeben. Eine der Grundlagen schlechthin für eine gute Küche – in Wien wie auch anderswo.
New Food City: Möchten Sie diese Traditionen in Ihrem „Steirereck“ ausschließlich wahren oder auch weiterentwickeln?
Heinz Reitbauer: Sowohl als auch, ich glaube das eine bedingt das andere. Zunächst einmal bauen wir überwiegend auf sehr traditionellen Werten und Kochtechniken auf, hegen und pflegen diese. Schließlich haben wir hier in Österreich ein tolles Fundament, leben in einem geschichtsträchtigen Land mit einer seit über 200 Jahren international beeinflussten Küche, die zu Zeiten des Wiener Kongresses entstanden ist. Damals waren Abgesandte aus zahlreichen Ländern hier, brachten auch ihre kulinarischen Vorlieben und Kenntnisse mit, die hier verschmolzen. Es wäre in meinen Augen nicht klug, diese Traditionen und die guten Produkte, die unser klimatisch so vielfältiges Land hervorbringt, nicht aufzugreifen. Gleichzeitig wollen wir aber zusammen mit verantwortungsvoll arbeitenden Landwirten helfen, das Potential unseres Landes in Sachen Biodiversität weiter zu verbessern, damit wir uns auch auf lange Sicht mit unserer Küche nicht verstecken müssen. Da sind wir sehr zukunftsorientiert, denke ich. Überall auf der Welt geht die Artenvielfalt schließlich stark zurück, deshalb müssen wir das Bewusstsein für die Themen Umwelt- und Artenschutz unbedingt schärfen.
New Food City: Vermissen Sie es bei so viel Regionalität denn nicht manchmal, auch internationale Produkte in Ihrer Küche zu verarbeiten?
Heinz Reitbauer: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Danach sehne ich mich zwar auch, das bekomme ich dann aber unterwegs. Wenn ich bei Kollegen esse, die an exotischen Orten und mit den dort üblichen Zutaten kochen, dann erfreue ich mich daran. Ich bin als Koch ja auch ein großer Genießer. Aber manchmal machen wir auch hier eine Ausnahme, wir haben nämlich einen Stammgast, der seit Jahren jeden Mittag zu uns kommt. Damit er nicht immer nur die aktuelle Karte rauf und runter essen muss, kaufen wir ihm zum Beispiel auch mal einen Hummer und bereiten ihn ihm zu. Genauso freuen sich andere Stammgäste aber eben auf unsere traditionelle Wiener Küche, wenn sie von der Geschäftsreise zurück sind.
New Food City: Apropos Reise: Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, warum so viele österreichische Köche internationale Erfolge feiern? Angefangen bei Eckart Witzigmann früher in Deutschland, Wolfgang Puck in Los Angeles oder auch Kurt Gutenbrunner oder Markus Glocker, der ja auch mal bei Ihnen gekocht hat, heute in New York. Die Liste könnte man beliebig fortsetzen…
Heinz Reitbauer: Die Tradition ist auch hierfür grundlegend, denke ich. Wir verfügen aufgrund unserer kulinarischen Vergangenheit über ein sehr gutes und fundiertes Ausbildungssystem in diesem Bereich. Dazu gelten österreichische Köche als sehr kreativ und dennoch anpassungsfähig und deswegen sind sie im Ausland in meinen Augen völlig zurecht begehrt.
New Food City: Der Erfolg Ihrer Küche spricht ebenfalls für sich. Sie sind mit dem Steirereck seit Jahren unter den Top 20 der „World´s 50 Best Restaurants“ platziert. Was glauben Sie, ist der Grund für diese Beliebtheit?
Heinz Reitbauer: Ich glaube zunächst, dass Restaurants in Ballungszentren auf dieser Rangliste bevorteilt sind. Zudem kommen viele Touristen zu uns nach Wien, darunter auch zahlreiche Food-Experten, was ebenfalls hilft. Ich glaube aber auch, dass man unsere Heimatverbundenheit honoriert und besonders, dass wir dabei auch neue Wege gehen. Vielleicht überrascht gerade diese Mischung aus Tradition und Moderne, die man so in Österreich wahrscheinlich gar nicht erwartet. Am wichtigsten erscheint mir jedoch, dass die Qualität der Produkte unseres Landes immer mehr auch zum internationalen Maßstab wird. Das hat einerseits mit der eher klein strukturierten Landwirtschaft hier zu tun. Andererseits mit der österreichischen Natur, in der man – plakativ gesagt – aus jedem Bach trinken und von jeder Wiese essen kann. Das sind Werte, die zukünftig sogar noch viel wichtiger werden, wenn wir uns der aktuellen Umweltprobleme erst vollumfänglich bewusst werden.
New Food City: Im Rahmen der World´s 50 Best-Veranstaltungen, die in den letzten Jahren in London, New York, Melbourne und 2018 in Bilbao stattfanden, kommen einige der besten Köche der Welt zusammen. Wie muss man sich diese Treffen vorstellen, geht es da immer ums Kochen oder bestimmte Zubereitungen?
Heinz Reitbauer: Auch das kommt zur Sprache, ja. Allerdings findet dort viel eher ein Philosophie-Austausch in Sachen Nachhaltigkeit und sozialer Projekte statt. Wenn man zum Beispiel den New Yorker Spitzenkoch Dan Barber trifft, der sich auf seiner Farm im Umland der Stadt ebenfalls intensiv mit dem Erhalt von seltenem Saatgut und alten Sorten beschäftigt, dann merkt man, wie eng wir alle gedanklich miteinander verknüpft sind. Von diesem Gedankenaustausch profitiert jeder von uns ungemein, man erweitert seinen Blickwinkel. Zusätzlich ergeben sich tolle Kontakte, es entwickelt sich inzwischen ein richtiges Netzwerk aus Köchen, Produzenten und kreativen Köpfen aus anderen Bereichen.
New Food City: Waren Sie bereits auf Dan Barbers Farm in Stone Barns zu Gast?
Heinz Reitbauer: Ja, es ist beeindruckend, was er dort macht. Zu einer von Barbers regelmäßigen Farmer-Konferenzen habe ich zudem meinen wichtigsten Mitarbeiter, einen mir lange vertrauten Landwirt und einen Vertreter der Arche Noah, einer österreichischen Gesellschaft zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt, nach Stone Barns geschickt. Ich möchte das Wissen von dort möglichst breit streuen und hier in Österreich ein solches Netzwerk ebenfalls vorantreiben.
New Food City: Wie sehen Sie persönlich Ihre Rolle in diesem Netzwerk?
Heinz Reitbauer: Ich sehe mich sicher mehr als Handwerker denn als Künstler am Herd und bin neben der Nachhaltigkeit sehr auf das Thema Gesundheit geschärft: wie und mit welchen Produkten wir uns gesund ernähren können. Und ich bin eine Art Touristiker indem ich schaue, was Österreich zu bieten hat, was es ausmacht, und das dann in die Welt trage. Vielleicht schaffen wir es dadurch ja, auch im Steirereck eine nachhaltigere Produktion und eine Küche mitzugestalten, von der spätere Generationen noch profitieren. Eine Küche, die für folgende Generationen die traditionelle Küche sein wird.
New Food City: Welche Restaurant-Tipps haben Sie abschließend für unsere Leser?
Heinz Reitbauer: Natürlich muss ich hier mit dem angesprochenen Blue Hill @ Stone Barns anfangen, Dan Barbers Farm und Restaurant sind wirklich einzigartig. Aber auch das Eleven Madison Park von Daniel Humm und Will Guidara sollte man unbedingt mal besucht haben. Dann empfehle ich das „Chef´s Table at Brooklyn Fare“, wo Chef César Ramirez unmittelbar vor seinen Gästen kocht, die an der Theke vor der Küche Platz nehmen. Inzwischen ist das Restaurant aber von Brooklyn nach Manhattan, genauer gesagt nach Hells Kitchen, umgezogen. Nicht vergessen möchte ich auch das „Bâtard” und „Cosme“ in dem meine Freunde Markus Glocker und Enrique Olvera umwerfende Arbeit machen.