Ein aussichtsreicher Trend: Die New Yorker holen sich die Natur Stück für Stück zurück in ihre Stadt. Auf zahlreichen Dächern sind in den vergangenen Jahren üppige Gärten entstanden, in denen Kräuter und Gemüse angebaut werden. Das grüne Wirken auf New Yorks Dächern treibt dabei immer seltsamere Blüten – inzwischen sogar koschere Meersalzblüten.
Über reichhaltige Ernten aus Dachgärten auf New Yorker Hochhaus-Dächern, den sogenannten Community Gardens, wurde auch hierzulande schon häufiger berichtet. Ganze Farmen wie die Brooklyn Grange wurden dort in den vergangenen Jahren errichtet, um Lebensmittel wieder vermehrt regional zu produzieren. Sogar Bienenstöcke gibt es auf Manhattans Dächern – seit 2010 ist die Imkerei dort offiziell erlaubt und die Bienenzüchter dürfen ihren Honig inzwischen sogar auf den lokalen Märkten verkaufen. Dass nun aber auch Meersalz auf dem Dach gewonnen wird, ist auch für New Yorker Verhältnisse neu.
Wie kommt das Salz aufs Dach
Mitten in Manhattan, genauer gesagt auf dem Dach einer Musikschule in Chelsea und mit Blick auf Empire State Building und Madison Square Garden, gewinnt Sarah Sproule mit ihrem kleinen Unternehmen „Urban Sproule“ qualitativ hochwertiges Meersalz. Die gelernte Köchin hatte die Idee dazu während eines Showkochens im Jahr 2012. Während ihres Kochunterrichtes auf dem Greenmarket am Union Square ermunterte sie ihre Zuhörer immer wieder, doch mehr regionale Zutaten zu verwenden. Sie selbst kannte die Herkunft des Fleisches, das sie verwendete. Sie wusste auch, von welchem Bauern das Gemüse stammte, das sie kochte – nur das Salz, das sie in jeder Speise verwendete, hatte keine Herkunftsangabe. Die Idee, Salz direkt vor Ort in Manhattan zu produzieren, war geboren.
Sproule begann, sich Wissen über die Salzgewinnung anzueignen, experimentierte ein wenig auf ihrem Balkon und begann schließlich als erste weltweit, Salzwasser auf einem Hochhausdach zu verdunsten. Das Meerwasser für die Salzproduktion sammelt seither ein befreundeter Fischer 30 Kilometer westlich von New York aus dem salzreichen Atlantik. Dort, vor der Küste Long Islands, befindet sich eine artesische Quelle, aus der natürlich gefiltertes Wasser aus 250 Metern unterhalb des Meeresbodens wieder nach oben ins Meer austritt. Sarah Sproule bringt dieses dann in Kanistern in die Stadt, schafft es aufs Dach, filtert es nochmals und verteilt es schließlich zum Verdunsten auf etwa 500 flache Schalen.
Natürlich ist der Raum auf dem Dach begrenzt und deshalb orientiert sich die Salzproduzentin an der typischen New Yorker Bauweise und strebt nach oben. Mit kleinen Zwischenräumen stapelt sie die Schalen übereinander, damit sie überhaupt so viele unterbringen kann. Je nach Witterung dauert der Verdunstungsprozess etwa vier bis sechs Wochen. Die übrigbleibenden Meersalzkristalle schöpft sie mit der Hand ab und trocknet sie auf Tonziegeln zu Ende, die das restliche Wasser aus dem noch feuchten Salz ziehen.
Harte Arbeit für wenig Salz
Etwa 30 Pfund grobkörnige Salzernte bringt dieser Aufwand pro Monat hervor. Ein Gewächshaus, das Sarah Sproule ihr „Salzhaus“ nennt, sorgt für höhere Temperaturen und verhindert gleichzeitig, dass Regenwasser die Salzernte zunichtemacht. Nach der Ernte wird ein Teil des geernteten Rooftop-Salzes noch mit verschiedenen Zutaten wie Thymian, Sellerie, Chili, Zitronenverbene und sogar reduziertem Rotwein und Tintenfisch-Tinte angereichert, um es zu einem pfiffigen Gewürzsalz zu veredeln. Letzteres, ein pechschwarzes Salz, haben wir im über die Grenzen New Yorks bekannten Gewürzladen Kalustyan´s in der Lexington Avenue aufgetrieben und getestet.
Das Tintenfisch-Salz eignet sich durch den farblichen Kontrast hervorragend als Topping für helle Speisen wie Fisch oder Meeresfrüchte. Sparsam und als letzte Garnitur eingesetzt, verleiht es den Gerichten eine spannende optische Note. Der geschmackliche Unterschied zu herkömmlichem Meersalz fällt dagegen nicht so offenkundig aus. Da bleibt Salz nun mal Salz. Die Geschichte jedoch, die das Meersalz vom Dach mitliefert und die man seinen Gästen beim Tafeln auftischen kann, macht seinen Einsatz wiederum lohnenswert.
Warum ist das Rooftop-Salz eigentlich koscher?
Bei der Tatsache, dass Sarah Sproule koscheres Salz verkauft, handelt es sich letztlich um einen pfiffigen Kunstgriff der Jung-Unternehmerin. Da ihre Idee mit dem Salz aus Manhattan so außergewöhnlich und neu war, gab es keine zuständige Behörde, die ihr Salz zertifizieren konnte. So wandte sie sich kurzerhand an die „Orthodox Union“, die Dachorganisation aller orthodox-jüdischer Gemeinden und Organisationen in den USA, um ihr Salz zertifizieren zu lassen. Ihr Produkt bestand den Test – jedes unbehandelte Salz gilt nach den jüdischen Speisegesetzen als koscher und wird in den USA häufig zum koschern von Fleisch eingesetzt – und so darf Sproule ihr Salz nun seit 2013 als koscher zertifiziertes Meersalz verkaufen.
Inzwischen gehören verschiedene Spitzenköche und Restaurants zu ihren Kunden und natürlich verkauft sie das Salz auch dort, wo alles begann: Auf dem Union Square Greenmarket. Da, wo man weiß, wo die Lebensmittel herkommen.